Gestern haben fast alle deutschen Medien überschwänglich ins gleiche Horn geblasen und über die Veröffentlichung der deutschen Stromexporte 2012 des statistischen Bundesamtes berichtet (Pressemitteilung Nr. 125 vom 02.04.2013).
Eine Auswahl der Berichte:
- Der Spiegel: Trotz Atomausstiegs: Deutscher Strom wird zum Exportschlager
- Süddeutschte Zeitung: Trotz Atomwende: Deutschland steigert Stromexport
- Die Zeit: Deutschland hat Stromexporte 2012 massiv gesteigert
- Die Welt: Stromexporte stark gestiegen
- Stern: Deutschland steigert Stromexport
- usw.
So hat Deutschland 2012 netto 22,8 Terawattstunden (TWh) elektrische Energie exportiert. Der Export von 66, 6 TWh im Wert von 3,7 Milliarden Euro (55,55 €/MWh) überstieg den Import von 43,8 TWh für 2,3 Milliarden Euro (52,51 €/MWh) aus anderen europäischen Ländern.
Allerdings sind die Exportüberschüsse kein Grund zur Freude, dass trotz Atomausstieg keine Versorgungsknappheit herrscht. Die Überschüsse, welche vorrangig auf den massiven Ausbau der Solar- und Windenergie und deren wetterbedingt fluktuierender Einspeisung zurückzuführen sind, stellen eher technisch und ökonomisch ein Problem dar.
Lokale und kurzfristige Überschüsse
Durch die geringen Volllaststunden der EE-Anlagen müssen wesentlich größere Kapazitäten (MW) an Erneuerbaren Energien installiert werden, als selbst zu Spitzenlastzeiten in Deutschland benötigt würde. So waren 2011 bereits EE-Anlagen mit einer Leistung von insgesamt 65 GW installiert. Daher kann bei Starkwind die Einspeisung der Windenergieanlagen (WEA) die gesamte Nachfrage in Deutschland (Grundlast etwa 40 GW) übersteigen.
Zusätzlich müssen noch einige konventionelle Kraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) als sogenannter Must-Run-Sockel laufen, da diese – im Gegensatz zu vielen EE-Anlagen – notwendige Systemdienstleistungen zur Frequenzhaltungs des Netzes oder Blindleistung bereitstellen oder im Falle der KWK-Anlagen wärmegeführt (also am aktuellen Wärmebedarf orientiert, ohne Rücksicht auf den Strombedarf) betrieben werden.
Diese Anlagen zusammen mit dem Einspeisevorrang der Erneuerbaren Energien aus dem EEG führen zu Überschüssen und zu Börsenpreisen nahe Null Euro oder sogar im negativen Bereich, sodass die Übertragungsnetzbetreiber für die Abnahme des Ökostroms noch draufzahlen (teilweise ist draufzahlen für Kraftwerksbetreiber günstiger, als das Kraftwerk für ein paar Stunden komplett abzuschalten und wieder neu hochzufahren).
Die Niederländer als Hauptabnehmer der deutschen Stromexporte (22,6 TWh) freuen sich daher, den Strom günstig, geschenkt oder sogar bezahlt zu bekommen. Doch die EEG-Umlage (in welche auch negative Preise und Entschädigungen für abgeschaltete Windenergieanlagen aufgrund von Netzengpässen eingehen) zahlt der deutsche Verbraucher. Die Exporte wären damit oft vom deutschen Verbraucher subventionierter Ökostrom.
Um diese Überschüsse besser im Inland zu nutzen und damit eine weitere Integration der Erneuerbaren Energien in Deutschland zu fördern, benötigen wir langfristig Alternativen. Denn auch unsere Nachbarländer wollen ihre Erneuerbaren Energien ausbauen und unser Ökostrom belastet schon heute ausländische Netze (siehe Polen und Tschechien) oder drängt Gaskraftwerke in den Niederlanden aus dem Markt.
Als Alternativen für den Export kommt zum Beispiel Lastmanagement (regelbare Verbraucher) oder große Speichervolumen für elektrische Energie infrage. Das Ausbaupotenzial bisheriger Großspeicher wie Pumpspeicherwerken ist in Deutschland Topographie-bedingt jedoch nur noch sehr gering, sodass neue Speichertechnologien entwickelt werden müssen. Ein vielversprechendes Modell wäre bspw. die Power-to-Gas-Technologie.
Versorgungsenpässe
Die genannten Überschüsse und hohen Exporte bedeuten jedoch keinesfalls, dass die Gefahr von Versorgungsengpässen nicht mehr existiert. Es handelt sich eher lokale, kurzfristige Überschüsse. Diese deuten nicht auf stetige Überschüsse über das Jahr verteil hin.
Durch die sinkenden Börsenpreise lassen sich konventionelle Kraftwerke teilweise nicht mehr wirtschaftlich betreiben und Investitionen in neue Kraftwerke dürften sich kaum noch lohnen. Aber im Falle einer überregionalen Flaute ohne starke Sonneneinstrahlung müsste die Stromnachfrage allerdings allein durch konventionelle Kraftwerke oder Importe gedeckt werden. Sofern jedoch ein Kraftwerke ausfallen sollte oder zukünftig aufgrund mangelnder Investitionen einfach keine mehr bereitstehen, könnte es zu Versorgungsengpässen kommen.
Bei der aktuellen Lage ist dies jedoch eher Hetze gegen die Energiewende, noch wäre Zeit mir einem neuen Energiemarktdesign (z. B. ein neuer Kapazitätsmarkt) gegenzusteuern. Zudem aktuell (2011) sind ist noch immer eine Leistung von 108 GW aus konventionellen Kraftwerken verfügbar.
Es kommt also immer auf Großwetterlage und Zeitpunkt an, ob nun alles in Ordnung ist oder Überschüsse oder Engpässe bestehen…
Warum die Energiewende dennoch richtig und gut ist?
Nun ist die Energiewende und der Atomausstieg durch die genannten Probleme natürlich nicht gleich schlecht. In einigen Jahrzehnten wird Deutschland vermutlich in Form eines weiteren Wirtschaftswunders enorm von seinem grünen Technologievorsprung profitieren. Greentech wird zum neuen, weltweiten Exportschlager, wenn Öl und Gas zu Neige gehen oder die Menschen die Umweltverschmutzung endlich Leid sind. Gleichzeitig verringert sich die Abhängigkeit von Erdöl- und Erdgasimporten. Schädliche Abgase, CO2-Emissionen, Tagebauten und Atommüll werden vermieden…
Ich denke diese Vorteile der Energiewende kann man im Sinne der Nachhaltigkeit auch für zukünftige Generationen gar nicht hoch genug bewerten. Wenn den nächsten Generationen schon die enormen Staatsschulden angehängt werden, dann doch wenigstens in einem gesunden Land mit gesunder Umwelt und einer komplett im Inland günstig und sauber erzeugten Energie (Wind- und Solarenergie stehen im Gegensatz zu Öl und Gas endlos und kostenlos zur Verfügung).
Eine schnelle, aber gründliche Politik ist gefordert
Die Probleme zeigen eher, dass die Politik zu langsam auf sich ändernde Umstände reagiert. Der Wahlkampf 2013 hilft dabei nicht weiter und eine Strompreisbremse dient lediglich dem Wahlkampf, verunsichert Investoren, löst aber nicht die Probleme. Umfassende Anpassungen am EEG (oder ein neues EEG) und der Berechnung der EEG-Umlage wären dringend nötig, denn obwohl die Börsenpreise durch die Erneuerbaren Energien sinken, steigt dadurch paradoxerweise die EEG-Umlage.
Gleichzeitig ist der Politik der Ausbau der Erneuerbaren Energien außer Kontrolle geraten, da falsche Anreize gesetzt werden bzw. die EEG-Vergütungssätze nicht schnell genug angepasst wurden, sodass die Ausbauziele weit überschritten werden und damit auch die EEG-Umlage stärker als geplant steigt.
Wieso gibt es bei der enormen Bedeutung der Energiewirtschaft (Strom, Öl, Gas, etc.) immer noch kein eigenes „Bundesministerium für Energie“ in Deutschland?